Meine Depression

September 9, 2022 - Lesezeit: 8 Minuten

Das Thema ist für mich kein Tabuthema, aber trotzdem fällt es mir schwer, darüber zu schreiben. 
Es ist nicht, weil ich nicht will oder weil ich mich dann irgendwie offen gelegt fühle oder sonst etwas, sondern ich weiß einfach nicht, wie ich die Thematik angehen und beschreiben soll. Das ist es, was mir schwer fällt. 
Ansonsten gehe ich mittlerweile sehr offen mit den Depressionen um und kann es auch mitteilen, wenn es mal wieder soweit ist, dass ich in einer dunklen Phase hänge.
Da in letzter Zeit immer mehr Artikel und Bücher zu dem Thema auftauchen, dachte ich, ich versuche es doch noch einmal. 

Zwei "Einstiege" in das dunkle Tal

Ich unterscheide bei mir zwei unterschiedliche "Eintritte" oder "Einstiege" in eine depressive Phase, die ich mit der Zeit so zu spüren bekommen habe.

Entweder die Phasen kündigen sich schon Tage bis Wochen im Voraus an oder ich bin innerhalb von Sekunden/Minuten im Tief.

Im ersten Fall merke ich von Tag zu Tag, wie meine Motivation rapide abnimmt und ich gewisse Sachen nicht mehr auf die Reihe bekomme. Auch meine Stimmung sinkt merklich (auch für Außenstehende) und ich bin mehr gedankenverloren und weniger kontaktfreudig zur Außenwelt. Mir machen meine Hobbies kein Spaß mehr, ich kann meine Arbeit als Softwareentwickler nicht mehr richtig bewältigen und kann mich sonst an nichts mehr erfreuen. 
Oft mache ich den Fehler und versuche den "Absturz" so lange wie möglich vor mir herzuschieben, da ich innerlich einfach nicht bereit dafür bin ("Ich kann doch nicht schon wieder auf Arbeit fehlen. Das geht einfach nicht!"). Problematisch daran ist, dass ich das Endresultat dadurch einfach verschlimmere, weil ich nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen habe. Somit bin ich dann meistens wieder 1-2 Wochen krank und habe weder für mich noch etwas für die Arbeit dadurch gewonnen.

Der zweite Fall ist sehr tückisch. Meine Laune kann echt gut sein, ich schaffe meine Arbeit, alles ist gut. Plötzlich aber sinkt alles von 100 auf 0, manchmal innerhalb von Sekunden. Was der Trigger in dem Moment dann gewesen ist, kann ich nie wirklich sagen. Es können Geräusche, Gedanken, ein Wort, Musik oder Situationen sein, die mich dann total aus der Bahn werfen. Die anschließenden Probleme sind die selben, wie im ersten Fall, nur dass ich keine reale Chance hatte, rechtzeitig eine Ruhephase einzuleiten. Das sind die gemeinen Attacken.

Wie es sich anfühlt in einer dunklen Phase

Eigentlich habe ich es schon weiter oben beschrieben, aber ein paar Details kann ich noch hinzufügen.

Mein Kopf fühlt sich an, als würde er von allen Seiten durch irgendetwas zusammengedrückt. Hinzu kommen Kopfschmerzen und eine allgemeine Bewegungsunlust. Ziemlich ätzend. Manchmal höre ich auch verändert und kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Egal ob ich Fernseher schaue, am Computer/Handy versuche etwas zu lesen oder mit jemandem Rede. Es ist nur schwer möglich, den Dingen zu folgen.
Weiterhin verspüre ich so gut wie keine Lust an Hobbies, sei es die Fotografie, Musik machen, Spielen (egal ob analog oder digital). Ich sehe dann einfach keinen Sinn für diese Dinge.
Wenn es schlimmer ist, dann kommt noch eine Art "Vernichtungswut" dazu. Ich beginne damit, Dinge, die ich geschaffen habe, zu vernichten. Ich will einfach alles loswerden, was ICH gemacht habe. Das können Fotos sein oder Webseiten, die ich schon lange habe. Ganz oft habe ich auch auf Twitter immer alle meine Tweets gelöscht und bin fast jedem entfolgt und habe auch Nutzer geblockt, die überhaupt keinen Anteil daran haben/hatten, was mit mir los ist.

Direkt in einer solchen Phase merke ich nicht, was ich nach außen hin kaputt mache und zerstöre. Es ist für mich nicht greifbar. Erst im Anschluss, wenn es mir gut geht, begreife ich immer erst, was ich getan habe und dann tut es mir oft leid. Leider kann ich manchmal den Schaden dann nicht mehr gut machen und es gab auch schon einige Leute, die sich dann von mir sehr distanziert haben, obwohl das überhaupt nicht meine wirklichen Absichten waren. Das größte Problem dabei war, dass ich diese Zerstörungswut nicht kontrollieren konnte. Es gibt so einige Leute auf Twitter, die ich auch aus dem realen Leben kenne und die ich schätzen gelernt habe (und vielleicht war's auch umgekehrt so). Mit denen ist es leider vorbei und ich kann es einfach nicht mehr gut machen.
Es fällt mir in diesen Momenten auch sehr schwer "einfach" mitzuteilen, wie es mir geht und was los ist. Ich befürchte dann meistens, dass die anderen Leute das als Ausrede oder schlechte Entschuldigung werten und ich dadurch unglaubwürdig werde (ja, mein Selbstbewusstsein ist dann auch quasi nicht vorhanden).

In ganz schweren Phasen hatte ich tatsächlich auch schon mal Suizidgedanken und mir auch schon zurechtgelegt, WIE ich es mache, aber nie WO und WANN. Meine Vernunft ist sehr stark und ich habe eine Familie zu ernähren und meine Kinder brauchen mich. Ich bin über diese Blockade wirklich sehr glücklich (ja, GLÜCKLICH), denn sonst wäre ich vermutlich schon seit einigen Jahren nicht mehr unter den Lebenden.

Der ständige Begleiter

Meine Depression ist ein ständiger Begleiter. Sie kommt nicht nur in Phasen, sondern ist unterschwellig immer da und haut mir hin und wieder einfach Dinge um die Ohren, die ich nur schwer bewältigen kann.

Es ist, als ob da so ein kleiner Fiesling in meinem Kopf sitzt, der mir ständig Dinge einredet, die nicht wahr sind (glaube ich zumindest). Es kommen Gedanken auf, dass mich niemand mag, dass meine Familie (und insbesondere mein Frau) mich nicht liebt, dass ich einfach nichts wert bin. Ich habe ständig das Gefühl, dass alles, was ich anpacke, falsch ist und es sowieso nur kaputt geht.
Habe ich dann mal etwas geschaffen, wovon andere Menschen behaupten, dass es echt gut ist und ich gelobt werde, dann kommt wieder diese verdammte Stimme in den Kopf und sagt mir: "Lasse den Lob nicht zu, DAS HAST DU NICHT VERDIENT!! Vergiss es einfach!". Ich winke dann meist nur lächelnd ab und laufe innerlich barfuß auf einem Fluß aus Lava.

Das klingt vielleicht etwas krass, aber genau so läuft das ständig bei mir ab.

Ich glaube, ich habe mich bisher nur sehr selten über Lob richtig gefreut, aber ich könnte es nicht direkt benennen, weil ich das vergessen habe. Wenn ich ein "Danke" für ein Lob zurücklasse, dann liegt das eigentlich nur daran, dass man von mir ja eine Reaktion auf die Anerkennung erwartet und die gebe ich dann. Mit der Zeit habe ich das irgendwie antrainiert, nachdem ich bei anderen Menschen gesehen habe, wie es erwartet wird.

Wie geht's weiter

... tja, keine Ahnung??!
Ich habe schon mal versucht, Psychotherapeuten zu finden. Sie waren aber entweder nicht das Richtige für mich oder waren viele Monate im Voraus schon ausgebucht. Das hilft nicht sehr viel weiter, wenn es einem dreckig geht.
So versuche ich also immer wieder selbst mit den Depressionen klar zu kommen und schaffe es "irgendwie" da durch. Wenn mich mein Hausarzt dann mal wieder krank geschrieben hat, versuche ich möglichst viel nach draußen zu gehen (entgegen meiner Motivation) oder Fahrrad zu fahren. Das hilft für den Moment, aber hält leider nicht immer lange vor.
 
Meine Familie gibt mir sehr viel Kraft und Rückhalt, auch wenn ich oft alles andere als einfach bin und sie teilweise sogar mit herunterziehe. Das ist allgemein das Schlimmste, was passiert, da sie keinerlei Anteile an meinem Zustand haben. Schon gar nicht haben sie es verdient, das zu erleben oder mit herunter gezogen zu werden. Trotzdem halten wir alle zusammen und dafür bin ich sehr dankbar!

Nun komme ich wieder zu dem Punkt, an dem ich nicht mehr weiß, was ich noch schreiben soll. Sollte ich wieder das Bedürfnis haben, mehr über das Thema zu schreiben, folgt einfach ein neuer Artikel. 

Bis dahin bedanke ich mich für's Lesen,

Christian